Wenn das Hoftor mit der altertümlichen Klinke ins Schloss fällt, umfängt den Besucher eine Stille, gemischt mit dem Gegacker der Hühner, dem leisen Summen der Bienen und dem entfernten Blöken der Schafe. Hier, südlich von Leipzig unmittelbar an der Pleiße, befindet sich »Die Lobelei«. Abseits vom Trubel teilen sich acht Erwachsene und neun Kinder ihr Zuhause – zwei Singles und drei Familien. Dazu kommt noch eine beeindruckende Vielfalt an Tieren: Schafe, Minischweine, Laufenten, Seidenhühner und Bienen. Und nicht zu vergessen die drei Katzen: Kraut, Rübe und Möhre.
Als die Enthusiasten 2015 den Hof in der Victoriastraße bezogen, war das für viele Einwohner von Lobstädt, einem Ortsteil der Gemeinde Neukieritzsch, schon sehr ungewöhnlich. Wilde Gerüchte von einer Hippiekommune machten im Dorf die Runde. »Dabei sind wir ganz klassische Familien, die einfach gemeinsam hier wohnen und eine andere Form des Wohneigentums dafür geschaffen haben«, betont Janine Paulig lachend. Inzwischen ist die Lobelei im Ort angekommen. Der Dialog, die aktive Teilnahme am dörflichen Leben, die offenen Türen für andere Vereine – all das schafft Vertrauen und Akzeptanz. Auf die selbst gebackenen Plätzchen und die Lieder zur Adventszeit warten die Nachbarn bereits.
Doch zurück zum Beginn: »Die meisten von uns kennen sich aus Leipzig. Irgendwann hatte jemand die Idee, im Umland einen Bauernhof zu kaufen und dort gemeinsam zu wohnen«, erinnert sich Stefan Zabel. »Uns war wichtig, dass wir gemeinschaftliches Eigentum schaffen, um die Flexibilität jeder Familie zu wahren.« Wie funktioniert nun das Ganze? Die Freunde gründeten den Lobelei e. V. Dieser Verein und das Mietshäuser Syndikat sind Gesellschafter der Lobel GmbH. Und diese wiederum ist Besitzer des Bauernhofes. Die Bewohner sind Haus- und Hofverwalter und gleichzeitig Mieter ihrer Wohnungen mit allen Rechten und Pflichten.
»Das klingt erstmal kompliziert, ist aber für uns das ideale Modell«, hebt Lea Hortz hervor. »Mit dem Mietshäuser Syndikat haben wir einen Partner gefunden, in dem schon dutzende ähnliche Projekte organisiert sind. Wir konnten und können auf ein riesiges Reservoir von Wissen zurückgreifen.«
2014 kauften sie den 200 Jahre alten Dreiseithof. 2015 zogen sie ein. Die ersten sieben Jahre wohnten alle im Haupthaus. Jede Familie hatte zwei Zimmer, alle nur ein gemeinsames Bad und eine gemeinsame Küche. Das schweißt zusammen. Die Kinder wurden größer. Der Platzbedarf stieg. Das Haus platze förmlich aus allen Nähten. Die Lösung lag buchstäblich auf der Hand: Die denkmalgeschützte Scheune der Lobelei würde nach einem grundlegenden Umbau genug Platz bieten. Platz für die Wohnungen und Platz für Gemeinschaftsräume, die auch für Projekte mit anderen Vereinen geöffnet werden könnten.
Soweit der Plan. In der Lobelei wird alles einvernehmlich entschieden, gemeinschaftlich geplant und gemeinsam gearbeitet. »Wir haben soviel wie möglich selbst gemacht. Meist waren das natürlich die groben und schmutzigen Arbeiten. So brachten wir circa 1.000 Quadratmeter Lehmputz selber an die Wände«, sagt Stefan Zabel. Die 435 Quadratmeter große Fachwerkscheune durchlief von 2019 bis 2022 eine umfangreiche Metamorphose. Es entstanden drei einzigartige Wohneinheiten, Büro, Gästezimmer und der beeindruckende Gemeinschaftsraum. Er besticht durch die Ziegelgewölbedecken, die auf majestätischen Porphyrpfeilern ruhen – der ideale Schauplatz für Veranstaltungen der lokalen Gemeinschaft, für Hoftage, für Workshops und Seminare.
Beim Umbau wurde so viel wie möglich der ursprünglichen Substanz bewahrt und nachhaltige Baustoffe eingesetzt: Holzfaserdämmung, Lehmplatten, mineralische Farben und Putze. Dieser Nachhaltigkeitsgedanke zieht sich durch das gesamte Anwesen. Mit dem gesammelten Regenwasser wird der Garten bewässert. Die Wärmeversorgung des Hofes sichert eine Scheitholz- und Pellet-Kombianlage, die bereits für die Nutzung von Solarthermie vorbereitet ist.
Im November 2022 ist es dann soweit. Die umgebaute Scheune empfängt ihre Bewohner. Hat sich das Leben seither verändert? »Ja natürlich«, bestätigt Janine Paulig. Und Lea Hortz pflichtet ihr bei. »Nach der Enge des Haupthauses verfügen die Familien jetzt über eigene großzügige Wohnungen. Dennoch machen wir viel gemeinschaftlich: Arbeiten im Garten und im Hof, Stricken, Brot backen…«. Stefan Zabel ergänzt noch, dass wöchentlich auf dem Plenum Themen des gemeinsamen Lebens diskutiert werden. Der Zusammenhalt der Bewohner setzt sich im Beruflichen fort, arbeiten sie doch alle in der inklusiven Waldorfschule in Leipzig-Lößnig. Die Verzahnung von Leben auf dem Hof und Leben in der Schule ist ihnen eine Herzensangelegenheit.
Die Wiedergeburt des jahrhundertealten Dreiseithofes ist ein Beispiel für nachhaltiges Denken und Handeln. Wohnungen und Gemeinschaftsbereiche verschmelzen zu einem harmonischen Ganzen. Doch zu tun gibt es auch künftig noch mehr als genug. Die To-Do-Liste auf der Kreidetafel im Eingangsbereich der Scheune kündet von den kleinen und großen Aufgaben. Manche sind schon abgehakt, andere warten noch auf ihre Erledigung. Gemeinschaftlich werden die Bewohner der Lobelei noch Einiges anpacken und erledigen.
Die Lobelei ist nicht nur ein Wohnort, sondern ein lebendiges Projekt, das die Verbindung zwischen Mensch und Natur und zwischen den Menschen selbst fördern will.
Die Lobelei wurde im Rahmen des sächsischen Staatspreises „Ländliches Bauen 2023“ ausgezeichnet.
Alle ausgezeichneten Projekte in der Broschüre des Sächsischen Staatspreises Ländliches Bauen 2023, dem dieser Text mit freundlicher Genehmigung entnommen wurde.
Finanzierung:
Die Lobelei finanziert sich über „Direktdarlehen“ – Unterstützer:innen legen ihr Geld direkt im Projekt an und erhalten dafür die Gewissheit, wo ihr Geld wirkt und Zinsen. Die Bewohner:innen bezahlen mit ihrer Miete im Laufe der Zeit die Direktdarlehen zurück. Mehr dazu auf der Seite der Lobelei.